Also zu unserer Verteidigung kann ich nur sagen, dass Buchhändlerinnen und Buchhändler schon einige Zeit vor dem Erscheinungstag Leseexemplare zu ausgewählten Titeln erhalten. Darum stand „Rote Kreuze“ bereits eine Weile auf unserer Leseliste, obwohl das Buch erst Ende Februar neu auf den Markt gekommen ist. Kurz zusammengefasst: Es ist ein tolles Leseerlebnis.
Sasha Filipenko ist ein junger weißrussischer Autor, „Rote Kreuze“ sein erster Roman, der auf Deutsch erscheint. Die Geschichte spielt in Minsk, wo ein junger Mann gerade in ein Wohnhaus einzieht und dort gleich seine 90-jährige, an Alzheimer erkrankte Nachbarin kennenlernt. Eigentlich will er nichts mit ihr zu tun haben, weil er selbst gerade ein traumatisches Ereignis zu verarbeiten hat. Aber die alte Dame ist ziemlich hartnäckig und drängt ihm ihre Lebensgeschichte auf, um sicherzustellen, dass sie nicht in Vergessenheit gerät.
Das Buch ist keine 300 Seiten stark, spannt aber einen Bogen von den Schrecken der Stalin-Ära bis in die Gegenwart. Es ist fesselnd und trotz der tragischen Schicksale der Protagonisten leichtfüßig erzählt, zitiert tolle russische Gedichte und natürlich erfährt man auch über das Leben des jungen Mannes mehr. Tatjana Alexejewna, die Alte, tischt wunderbare Lebensweisheiten auf, wie etwa, dass eine Portion Selbstbetrug ein unverzichtbarer Bestandteil von Durchhaltevermögen ist. Und sie offenbart eine unverrückbar positive Grundhaltung zum Leben auch unter schwierigsten Bedingungen: Denn aufgeben ist unmöglich, solange man ein Ziel vor Augen hat. Und Ziele gibt es unendlich viele. Was für ein schöner Gedanke!
Sasha Filipenko
Rote Kreuze
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